Vermissen wir die 80er oder nur unsere Teeniezeit (oder beides)?

Ob der wilde Süden oder der kühle Norden, hier trifft man sich zwischen den großen Treffen
Die Luftgitarre
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Bezugnehmend auf die Diskussion zwischen Babooshka und SonnyB auf der ersten Seite des Threads "Woran merkst Du, dass Du die 80er vermisst?" wollte ich diese Frage hier mal vertiefen:


Vermissen wir die 80er nur deshalb, weil unsere Teenager-Zeit zufällig in diese Jahre fiel?

Oder fanden wir unsere Teenie-Zeit deshalb so toll, weil sie in dieses coole Jahrzehnt fiel?

Oder gefallen uns die 80er stilistisch/popkulturell cool, obwohl wir unsere eigenen praktischen Lebensumstände heute besser finden?

Kurz: Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Rückblick auf die 80er und dem Rückblick auf die eigene Teenie-Zeit?




Hierzu mal eine Überlegung:

Grundsätzlich neigt der Mensch natürlich dazu, sich wehmütig an die Zeit zu erinnern, in der ein Jahr noch ein unfassbar langer Zeitraum war, in der man noch körperlich fitter war und auch frischer aussah, in der man noch voller Elan war usw. Dennoch ist es keineswegs so, dass bei allen Generationen die meisten Leute automatisch ihre Teeniezeit als die beste Zeit ihres Lebens ansehen! Die Kriegsgeneration errinnert sich da v. a. an Bombennächte und Lebensmittelkarten, die erste Nachkriegsgeneration an einen miefig-biederen Autoritarismus (für beide war eher die jeweils darauffolgende Zeit die Gute Zeit: das Wirtschaftswunder, bzw. die wilden 68er Jahre). D. h. biologische Jugend ist nicht alles, es müssen auch die Zeitumstände stimmen.

Unsere Generation hatte es im historischen Vergleich besonders gut getroffen: Im Durchschnitt ein hoher materieller Lebensstandard und dank '68 vergleichsweise große persönliche Freiräume (durften anziehen und hören, was wir wollten, waren sexuell aufgeklärt, brauchten bei Widerworten nicht mehr mit dem Rohrstock rechnen ect.). Ja mehr noch, man könnte mit Blick auf die derzeitige Arbeitswelt und Arbeitsmarktsituation argumentieren, dass ein großer Teil unserer Generation als Heranwachsende souveräner und unabhängiger waren als wir es heute als berufstätige Erwachsene sind: Damals konnten wir - obgleich prinzipiell elterlicher und schulischer Autorität unterstellt - jeden Tag mehrere Stunden tun, sagen und lassen, was wir wollten, heute aber müssen wir in der Firma die Klappe halten (sonst gibt's HartzIV) und kommen abends (und zwar nach tendenziell immer längeren Arbeitstagen!) müde und genervt nach hause und das war's! Und was nützt "eigenes Geld", wenn es nur für Miete und Elementarbedarf reicht?

Ich denke, dass zusätzlich zur generellen Unerfreulichkeit des biologischen Alterns und unabhängig von Fragen des Musik-, Mode- oder Filmgeschmacks diese objektiven Wohlstands- und Freiheitsverluste, die relevante Teile der 'Generation Praktikum' im Zuge des Eintretens ins Berufslebens erfahren haben, eine Rolle bei der 80er-Jahre-Nostalgie spielen.
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SonnyB.
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Ich sehe das heute immer noch genau wie vor knapp 3 1/2 Jahren:


[QUOTE]Ich bin der Meinung, daß liegt nicht an den 80ern, sondern an der Tatsache, daß man sich immer wehmütig an seine Teeniezeit erinnert. Ich denke, da spielt das Jahrzehnt keine Rolle bei.

Frag mal in 25 Jahren einen heutigen Teenie, der erzählt dir genau das Gleiche, wetten? ;) Oder frag deine Eltern. Ich wette, die sagen das Gleiche über die 50er, 60er oder 70er ;)

Man neigt immer dazu "seine" Zeit zu verklären. In den 80ern gab es auch schon AIDS, man hatte Tschernobyl und Smog, Atombomben waren eine Angst, die Sowjets sowieso... man sieht immer nur das Gute, nie das negative, daß es auch gab ;)

Wie gesagt: Heute ist nicht besser und nicht schlechter als früher und die Teenieprobleme die wir hatten, sind nur im Nachhinein "nicht so schlimm". Ab in die Zeimaschine und mich selber mal in den 80ern interviewen, beim ersten Liebeskummer beobachten oder nach ner Lehrstelle suchen sehen ;)

Andere Leute hab ich schon immer leicht kennengelernt, gerade auch Männer... Figurprobleme hatten wir auch als Teenies... und nach Paris kommste mit Ryan-Air heute auch billig ;)

Was also sollte ich vermissen? Bandsalat in der Kassette? Krebsarten, die noch nicht heilbar waren? Helmut Kohl? Glykol im Alk? Die Angst vor Atombomben? Madonna? Modern Talking?

Nee nee... unser Alter damals war für das Lebensgefühl entscheidend, nicht die 80er.
[/QUOTE]
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Sammy-Jooo
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Diesem kann ich mich nur anschließen, denn wenn ich jetzt eben nicht 1962 geboren wäre, sondern eben 1952, wären es eben die 70er Jahre gewesen die heute eben als die "wilde Zeit" bezeichnet würde.

:rocka:
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BigDaddy0297
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Ich vermisse die 80er, weil dort Vieles anders und auch besser war. *ich beziehe mich dabei auf alles, was nicht mit Politik, Wirtschaft und dem anderen, für mich unwichtigen Kram zu tun hat, um den Grund für dieses Vermissen zu erklären*

Ja, es hat natürlich hauptsächlich was mit meiner Jugend zu tun.
Sex, Drugs and Rock'n Roll :rocka:, und das in vollen Zügen. Spaß stand an erster Stelle, Arbeitsuchende wurden zu der Zeit nicht mal annähernd so "gejagt und eingeschüchtert" wie heute, alles war -relativ- billiger, es gab, zumindest in meinem Wohnbereich, noch diesen gewissen Zusammenhalt, den ich heute doch ziemlich vermisse. Auch wenn es kitschig klingt, aber damals zählte noch "einer für alle, alle für einen" etwas. :bia:

Heutzutage macht jeder sein Ding. Angst um die Arbeitsstelle, Angst vor den ARGEN, die Jugendlichen sind unzufrieden mit den Angeboten, verhunzen die Spielplätze und die normalen "mach mich an und ich hau dir auf die Zwölf"-Sprüche, wurden ausgewechselt in "huste in meine Richtung und ich schieb Dir ein Messer zwischen die Rippen". :fechten:

Vielleicht hat es damals, in den Jahren 1980-1989, genau solche Gewalt gegeben, wie heute. Allerdings hat es mich damals nicht interessiert, weil ich nie von irgendwelchem Elend betroffen war. Ich wollte einfach nur leben, probierte nach der Schule dies und das aus, brach etwas ab und fing neue Sachen an...die ich dann auch abbrach.
Es war geil, einfach zu sagen "leckt mich am A****, ich atme, ich lebe, ich habe Freunde, ein Auto und ein Dach über dem Kopf, ich mache, was ich will.

Diese Jahre verbinde ich mit Freiheit, Freundschaft, Abenteuer, einfach mit Allem, was ein Jugendlicher oder Erwachsener heutzutage nicht mehr hat, zumindest nicht in dem Maße. Es sei denn, er hat reiche Eltern, ist selber reich oder anders gut betucht. *ach ja, oder er/sie ist ein Streber und lebt nur für den Job und das Geld, ganz egal, ob der Spaß dabei auf der Strecke bleibt oder in die spätere Familie die alles zerstörende Gewohnheit einkehrt*
:wm:

Dann die Musik, ja, auch die fand ich, damals wie heute, viel besser, als diesen ganzen Einheitsbrei, den man heute in den Charts findet. Egal, ob Neue Deutsche Welle, Synthie-Pop oder Hardrock, man fand immer und überall seinen ganz speziellen Ohrwurm.
Dabei spielt es für mich auch keine Rolle, wann ich geboren wurde. Wäre ich in den 50ern geboren worden, hätte ich die Musik der 80er trotzdem für besser empfunden, zumindest wäre ich für die Musik offen gewesen. Ich wurde in den 60ern geboren und fühle mich im Vergleich zwischen 60er/70er/80er/und 90er-Musik, bei den 80ern am besten aufgehoben.

Ich könnte hier noch ewig weiterschreiben, aber ich belasse es mal bei den Hauptpunkten, warum mir die 80er fehlen.

BigDaddy
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bubu
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Gute Frage, Luftgitarre, hab ich mir auch schon ab und zu gestellt.

Ich glaube auch, dass es ein natürlicher Drang ist, sich an die Jugendzeit erst einmal wohlwollend zurückzuerinnern. Wenn die Umstände dann noch stimmen, wie Du's ja schon bemerkt hast, dann umso mehr.

Es ist wahrscheinlich auch individuell verschieden, je nach Alter. Ich war 1980 sieben Jahre alt. 1989 dann 16. Eigentlich noch zu jung, um die 80er voll auszukosten, sprich, diese ganze Innovation in Musik und Technik voll zu durchdringen. Zudem bin ich einer Kleinstadt groß geworden, wo ich davon auch nur eine abgeschwächte Version mit Latenzzeit mitbekommen habe. Tatsächlich habe ich erst viel später noch eine Menge interessanter Dinge entdeckt, die diese Dekade zu bieten hatte. Daher lautet die Antwort für mich persönlich: Es ist eher meine Teeniezeit, die ich vermisse. Zufälligerweise aber fiel sie in eine interessante Zeit, was meinem Gehirn ermöglicht, sie an prägnanteren Landmarken festzumachen.

Bleibt dennoch die Frage, warum es eine so ausgeprägte 80er-Nostalgie gibt. Darauf hat meiner Meinung nach in der Doku "Welcome To The 80s" Tim Renner gegeben:

"80er waren das Zeitalter des Individualismus - zum ersten Mal. Alles was vorher war, war in seinem Anspruch als Protestbewegung immer noch eine Gruppenveranstaltung. Die Gesellschaft war damals in den westlichen Ländern soweit angekommen, dass man längst so reich war, dass man vorher alles erreicht hatte, dass man Individualität wollte."

Die 80er waren also sozusagen ein Gegenpol zu den 60ern, wo das das Ideal der Verbundenheit von der Hippie-Bewegung angestrebt wurde.

Renner meint, dass man auch heute noch den Leuten nur zwei Jahrzehnte ansieht: Und das sind die 60er und die 80er. "Die 80er waren ein mächtiges Jahrzehnt."

Vielleicht verwundert es nicht, dass wir uns nach Abgrenzung sehnen in einer zunehmend globalisierten Welt. Und wie Du es ja auch schon schreibst - nach wieder mehr individueller Freiheit, die wir zwar auf dem Papier haben, aufgrund der materiellen Ängste unserer Zeit aber eigentlich doch nicht.
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Babooshka
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Ich würde es nicht "vermissen" nennen. Keinesfalls würde ich heute nochmal Teenager sein wollen! Zumal meine Teenagerzeit von Anfang der 80-er, ich war also 15, bis zu meinem 18. Lebensjahr 1983 mit einigen Lichtblicken sowieso nicht so toll war. Diese ewigen Schulprobleme, die ich hatte... Ich würde es eher "wehmütige Erinnerungen" nennen, und die habe ich überwiegend an die Zeit ab meinem 18. Lebensjahr, wo ich ja streng genommen schon als junge Erwachsene galt. Warum ich die Zeit "vermisse", das habe ich in dem von mir eröffneten Thread schon mal erwähnt: Es war einfach leichter, neue Leute kennen zu lernen, weil man unbeschwerter aufeinander zuging. Und wirklich vermissen tu ich meine mehrmals im Jahr stattfindenden Reisen nach Frankreich. Es ist das Lebensgefühl jener Zeit, an das ich mitunter wehmütig zurückdenke und das so, wie es war, nur in den 80-ern sein konnte. Nebenbei gesagt, ich habe auch wehmütige Erinnerungen an die 70-er!

Und nein, damals war natürlich nicht alles besser. Ich habe mich vor allem im Winter an Sonn- und Feiertagen oft recht einsam gefühlt. Liebeskummer quälte mich oft und damals hatte ich noch nicht das pragmatische Wissen von heute, dass das alles nur eine chemische Reaktion ist, die vorübergeht, und dass es ja wohl sowieso besser war, dass das mit diesem Typen nichts geworden ist :) Befreiungskämpfe mit meiner Mutter hatte ich durchzustehen - ich sage nur: Einzelkind und Mädchen, und das war hart. Das war ja auch ein Grund, weshalb ich nach München gegangen war. Heute hingegen lebe ich komplett selbstbestimmt, so wie ich es mir damals immer gewünscht habe - alleine der Abgabetermin für meine Arbeit bestimmt mein Leben. Beruflich hat sich bei mir wunderbarerweise alles so entwickelt, wie es für mich am besten ist, und ich brauche morgens NICHT in aller Herrgottsfrühe aufzustehen. Wenn ich daran zurückdenke, in den 80-ern, vor allem im Winter - die Hölle! Wie jeder andere auch, meckere ich ab und zu mal über die Arbeit, aber global gesehen ist es optimal für mich. Ich brauche mich nicht mehr mit all diesen langweiligen/uninteressanten/unverständlichen Schulfächern rumzuplagen! Auch wenn meine Oberstufenzeit die beste meines Lebens war... Nach Frankreich kann ich jetzt auch reisen, wenn mir danach ist. Vielleicht nicht mehrmals im Jahr, aber ich arbeite dran :) Mein Französischlehrer und guter Freund, der damals die Reisen organisierte, ist ja leider vor einigen Jahren verstorben und die Reisen mit ihm, so gestalten sich meine jetzigen Reisen anders, aber das ist leider der Lauf der Dinge. Und da denke ich dann halt schon manchmal daran zurück, wie das damals war auf unseren Gruppenreisen... die Vorfreude darauf.. die Zugfahrt... all die Action, die wir gemacht haben...

Wenn mich jetzt also so ein wehmütiges Pieken überkommt, wenn ich z. B. "Wishing" oder "Blue Monday" höre, dann deshalb, weil es die 80-er waren UND weil ich jung war. Zurück und das alles nochmal erleben würde ich nicht mehr wollen - höchstens mal so auf Besuch :) Auch würde ich heute nicht mehr jung sein wollen. Aber hin und wieder fehlt mir halt das Lebensgefühl von damals. Und die Fähigkeit, ohne Lesebrille nah sehen zu können :)
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PostMortem
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Wenn ich mir das jetzt gerade überlege....... Meine Teeniezeit kann ich doch eigentlich gar nicht vermissen. Die frühen Teeniejahre waren bei uns zu Hause die Hölle, bis endlich die Scheidung meiner Eltern durch war (es war mir ein Fest!) und die späteren Teenie-Jahre sah ich aus wie ein Streuselkuchen. Na super! Abgesehen davon musste ich nach der Scheidung fast alles selbst machen, schon früh selbst Verantwortung übernehmen. Eine richtige Teeniezeit war das eigentlich nicht. Da bin ich heute manchmal mehr Teenie.

Trotzdem denke ich gerne an "unsere" Zeit zurück. Ich fand die damalige politische Situation spannend, die ja auch hauptsächlich den Einfluss schlechthin auf unseren Lebensstil und damit das Lebensgefühl hatte. Wir waren an die USA gebunden, die in ihrem "Kulturimperialismus" alles schöne, neue, bunte, tolle hierher exportierten. Rückblickend würde man manches sicherlich kritischer sehen. Aber damals war das alles toll. MTV und Burgertempel, Hollywood satt. Das MTV-Lebensgefühl gab es nur in einem kurzen Zeitschlitz der 1980er. Vorher gab es das gar nicht, heute ist es nicht mehr wiederzuerkennen. Auch die Digitalisierung hatte nur eine kurze goldene Ära. Heute sind Elektronik, Internet etc. derart selbvstverständlich, dass sie keinen Einfluss mehr auf das Lebensgefühl haben. Für mich war die Zeit der Homecomputerisierung ein aufregendes Kapitel der jüngeren Geschichte. Das hatte auch wiederum Auwirkungen auf die Musik und den Film. Filme änderten sich durch die neuen Möglichkeiten, die Musik wurde klarer. Man konnte Musik von vor 1980 relativ einfach anhand ihrer Qualität zuordnen. "Oldies" waren klar identifizierbar und wurden deshalb auch schnell welche. Die Qualität vieler Aufnahmen der 1980er ist so gut, dass man sie technisch von vielem was heute produziert wird kaum unterscheiden kann (höchstens am inflationären Gebrauch on Hall-Effekten etc.). Für mich war das erlebbarer technischer Fortschritt. Ein Laser für jedermann, in Form einer CD-Stereoanlage, Wahnsinn!

Gleichzeitig hatte diese Zeit noch eine gewisse Entschleunigung und Würde. Würde ist vielleicht ein blödes Wort dafür. Aber der Postbote war damals noch ein Beamter, er galt etwas. Heute werden bei DHL fragwürdige Subunternehmer und Billigkräfte beschäftigt, deren Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit bei weitem nicht so hoch eingeschätzt wird wie früher beim guten alten Postbeamten. Es gab überhaupt festere, simplere Berufsbilder. Die Welt erschien mir einfacher organisiert als heute und trotzdem hat man gut verdient und konnte sich was leisten. Auch das "sich was leisten" hatte damals irgendwie mehr Stil. So ein Fernseher hat schonmal ein paar tausend Mark gekostet. Heute nimmt man einen Plasma- oder Lcd-TV bei real auch zusammen mit dem Brot und der Wurst mit. Man kann sich durch den Preisverfall mehrere solcher Dinge öfter leisten, aber deshalb kommt auch keiner mehr und begutachtet das neue Wunderwerk der Technik. Früher war das noch ein Ereignis... der neue Fernseher, der neue Computer. Auch die Autos der 1980er Jahre fand ich damals toll und finde sie immer noch toll. Man brauchte sich eben keinen Kopf um heutige Bekange machen. Autos mussten PS-stark, schnell und am besten irgendwie laut sein. Trotzdem war so ein hochgerüsteter Audi 200 oder gar V8 ein Quantensprung im Vergleich zu den spartanisch wirkenden, mechanischen Autos der 1960er und 1970er.

Auch Zwischenmenschlich war es anders. Vor "uns" war man sehr steif, auf den guten Ton bedacht, sehr formal. Heute geht es nur noch um Coolnes, Gangstakram, Respekt etc. Ich habe die 1980er als eine Zeit erlebt, in der man offener miteinander umging. Irgendwie waren die Leute auch noch alle mehr auf einem Level als heute. Die gesellschaftlichen Schichten bewegen sich mehr voneinander weg und man bleibt unter sich.

Am wichtigsten finde ich heute, dass vieles damals noch nicht so übertrieben und überperfektioniert war. Heute haben schon Kinder in Filmen falsche Zähne. Früher durfte ein Teenieschwarm noch schief gewachsene Zähne haben. Auch die Musikauftritte und Videos von damals (wenn sie nicht gerade von Superstars wie Michael Jackson waren), sehen heute aus wie Produktionen des Offenen Kanals. Mehr Spaß gemacht hats trotzdem.

Ich denke heute schon, dass ich eher den Zeitgeist und das Lebensgefühl vermisse. Viele Dinge von damals gab es so nur in den 1980ern.
Zuletzt geändert von PostMortem am Do Jan 01, 1970 1:00 am, insgesamt 0-mal geändert.
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SonnyB.
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Die Kinder- und Teeniezeit ist die Zeit, die einen am meisten prägt. Das waren bei uns eben die 80er: Schule, erste Liebe, Pubertät, erste Erfahrungen mit Mode, der Musikgeschmack verfestigt sich.
Heute gibt es bei uns nicht mehr sooft "das erste Mal" (nein, nicht das aber das auch ;))

PM z.B. hat schlechte Erfahrungen gemacht, wie viele andere auch. Aber es waren eben auch prägende Erfahrungen.

Ich behaupte weder, daß wir die 80er vermissen und ich sage auch nicht, daß wir unsere Teeniezeit vermissen. Wir vermissen vielleicht eher das Neue, das Experimentieren, das Unbekümmerte.
Rock'n Roll, die 50er und 60er, James Dean Look... alles spiegelte sich auch irgendwo in unserer Mode wieder. Erlebte ein Comeback. Ich erinnere mich an Pettycoats, Pferdeschwanz, Tupfenkleider, weiße T-Shirts mit aufgekrempelten Ärmeln. Aber ohne die Steifheit, die die Jugend der 50er/60er von ihren Eltern aufgedrückt bekam. Und auch diese Zeit war in unserer Geschichte etwas besonderes. Rebellentum, neuer Wohlstand, auch da waren "bitte", "danke" und andere soziale Formen normal. Nicht nur bei uns. Bei uns nahm es schon wieder ab (antiautoritäre Erziehung ist das Stichwort).

Mein Papa hatte eine Elvistolle, erzählte mir von seiner Jugend nach dem Krieg, die er großartig fand, obwohl er als Kind in den Trümmern nach Gegenständen und auf den Feldern nach Essen gesucht hat. Die Geschichten kennen wir alle denke ich.
Aber auch wenn seine Kindheit übel war, er schwärmte trotzdem davon. Mein Papa wurde 1934 geboren. Es kann sich jeder ausrechnen wann seine Teeniezeit war.

Also nochmal in Klarschrift: Ich denke, man vermisst immer die Zeit, die einen geprägt hat :)
Zuletzt geändert von SonnyB. am Do Jan 01, 1970 1:00 am, insgesamt 0-mal geändert.
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[QUOTE=Dr. Peter Venkman;289238]
"80er waren das Zeitalter des Individualismus - zum ersten Mal. Alles was vorher war, war in seinem Anspruch als Protestbewegung immer noch eine Gruppenveranstaltung. Die Gesellschaft war damals in den westlichen Ländern soweit angekommen, dass man längst so reich war, dass man vorher alles erreicht hatte, dass man Individualität wollte."

Die 80er waren also sozusagen ein Gegenpol zu den 60ern, wo das das Ideal der Verbundenheit von der Hippie-Bewegung angestrebt wurde. [/QUOTE]

So hab ich das damals auch wahrgenommen, aber heute die Dinge aus einer größeren zeitlichen Distanz sehend, würde ich eher sagen: Die 80er fühlten sich als dieser Gegenpol, objektiv überwog jedoch die Kontinuität:

Von den späten 50er Jahren an gewannen Jugendliche in den westlichen Industriegesellschaften immer größere persönliche Freiräume. Das lag v. a. an den durchschnittlich immer längeren Schul-/Ausbildungszeiträumen (= mehr Freizeit, Verschiebung der Familiengründung auf später), desweiteren am zunehmenden Taschengeld und der zunehmenden Verfügbarkeit von Tonträgern, Fahrgelegenheiten und Verhütungsmitteln. Das dadurch aufkommende lockerere Lebensgefühl wurde von der Unterhaltungsindustrie durch jugendspezifische Musik- (und ab den 80ern auch Film-)Angebote bedient. Ab 1968 kamen dann auch noch Diskussionen über eine neue Bildungs- und Familienpolitik sowie einen neuen Erziehungsstil hinzu.

Die Vorstellung aber, dass dann ab 1968 alles ganz ernst und politisch wurde und ab 1980 dann alles hedonistisch und individualistisch, entspring genaugenommen des Selbstbild der "Popper", welche als solche 1980 von den Medien entdeckt wurde. Der Umbruchs Anfang der 80er war jedoch im Grunde nur einer der Moden. Hingegen:
- Die Lockerheit in den meisten Elternhäusern und Schulen (damals von uns als selbstverständlich, bzw. auch gar nicht wahrgenommen) waren das direkte Ergebnis von '1968'.
- Auch in den 70er Jahren waren nur die wenigsten Jugendlichen am demonstrieren gewesen. Die Hippiekultur war ihrer Grundidee nach hedonistisch, für die allermeisten waren die typischen Teenager-Themen (Flirten, Party, sturmfreie Bude, das Aussehen, die gerade angesagten Schallplatten) weitaus wichtiger als die Pamphlete der verschiedenen Politzirkel. Man könnte sogar angesichts der Bilder vermuten, dass die Anrüstungs- und Anti-AKW-Demos der 80er Jahre deutlich größer waren als die fast nur von eingeschworenen Studentenkadern besuchten Demos der 70er.
- Stichwort Individualismus: In den 80ern gab es klar abgrenzbare Jugendszenen mit jeweils eigenem Dresscode! Ironischer Weise traten auch die Popper, die sich ausdrücklich von Kollektivismus der Ökos und der Punks abgrenzen wollten, selber als Kollektiv, als Szene auf, eben "die Popper".
Zuletzt geändert von Die Luftgitarre am Do Jan 01, 1970 1:00 am, insgesamt 0-mal geändert.
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SonnyB.
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[QUOTE=Die Luftgitarre;289246]Ironischer Weise traten auch die Popper, die sich ausdrücklich von Kollektivismus der Ökos und der Punks abgrenzen wollten, selber als Kollektiv, als Szene auf, eben "die Popper".[/QUOTE]

Du hast die Metaller oder damals noch "Rocker" vergessen :beleidigt:


;) ;)
Zuletzt geändert von SonnyB. am Do Jan 01, 1970 1:00 am, insgesamt 0-mal geändert.
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